Das Mindset beim Investieren wird oft erwähnt. Beim Investieren müsse das Mindset, die Mentalität, stimmen oder auch, die Psychologie sei wichtig. Für mich hört sich das immer super an, allerdings kann ich damit wenig anfangen. Konkreter wird es für mich, wenn von Risikotoleranz gesprochen wird, oder wenn zumindest erwähnt wird, welche Annahmen der Aussage zu Grunde liegen. Außerdem würde es auch nicht schaden, wenn klar definiert würde, was überhaupt gemeint wird. Ansonsten wird die erforderliche Klarheit mit Sicherheit nicht hergestellt.

Das Mindset beim Investieren betrifft das Risiko

Für mich ist Risikotoleranz ein greifbarer Begriff, weil sowohl das Risiko an sich, als auch die Toleranz, definiert sind. Außerdem wird sich jeder unter dem Begriff Risiko zumindest etwas vorstellen können. Selbst ohne die genaue Definition zu kennen, eben etwas, dass mit einem ungünstigen Ergebnis zusammenhängt. Es könnte sich also um ein beliebiges negatives Ereignis handeln, das Du Dir entweder im Voraus bewusst gemacht hast – aber vielleicht auch nicht. Wenn Du eine gewisse Erwartung an ein Ergebnis hast und sofern dieses unsicher ist, musst Du ein Risiko tragen. Es kann anders kommen, unabhängig vom Ausmaß.

Toleranz wiederum bedeutet, dass ich etwas akzeptiere, was nicht meiner Überzeugung entspricht oder was ich anders erwartet habe. In Zusammenhang mit Risiko wäre mein intuitives Verständnis von Toleranz daher die Akzeptanz eines Ergebnisses, welches eben nicht den Erwartungen entsprochen hat und damit das Risiko an sich darstellt. Allerdings bezeichnet Risikotoleranz nach der Definition das Ausmaß, ein Risiko einzugehen und die Konsequenzen zu tragen, welche der Entscheidung zugrunde liegen.

Vor dem Mindset oder der Psychologie muss zunächst jedoch die Erwartungshaltung für eine Investition in Aktien geklärt werden. Wenn Du in Aktien investierst: wie bildest Du Dir eine Meinung, welcher Kurs am nächsten Tag, in einem Monat oder einem Jahr möglich ist? Du kannst Dich an der Vergangenheit orientieren – aber bietet diese wirklich einen Hinweis auf die Zukunft? Selbst wenn, welche wäre das? Bspw. die gebräuchliche Reduzierung von unzähligen Veränderungen der Kurse auf eine jährliche Durchschnittsrendite bietet unglaublichen Spielraum für Interpretationen. Denn was wäre die Ableitung daraus für eine Investition bis zum nächsten Tag oder nächsten Jahr?

Wie schlimm sind Verluste für Dich?

Die richtige Antwort wäre keine. Nach einem Jahr wird es ein unglaublicher Zufall sein, sollten es genau diese 6% sein. Meine Erwartung auf 6% zu legen wäre damit grundfalsch. Ich könnte ebenso erwarten, dass es positiv sein sollte. Aber es ist nur wahrscheinlicher als negativ, mehr auch nicht. Insofern, bevor Du in Aktien investierst, konkretisiere im ersten Schritt seine eigene Erwartung. Anschließend kannst Du bewerten, ob diese erfüllt wurde oder nicht.

Noch spannender wird es jedoch, wenn nicht über Indizes, sondern direkt in Einzelaktien angelegt wird. Oder in Produkte, die zwar auf Aktien oder Indizes basieren, deren Bewegungen aber nicht in gleichem Verhältnis nachvollzogen werden kann. Oder deren Bewegung sogar umgekehrt ist, die also fallen, wenn Aktien steigen und umgekehrt. Dann wird es jedem schwer fallen, überhaupt Ergebnisse der Vergangenheit zu berechnen, um sich ein Bild der möglichen Erwartung machen zu können. Sollten Daten nicht in erforderlichem Umfang vorliegen, ist der Versuch bereits von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Spätestens an dieser Stelle nähern wir uns wieder der Psychologie oder dem Mindset, der Mentalität des Anlegers. Es gibt genügend Studien, dass wir Verluste deutlich schlimmer wahrnehmen, als wir uns über Gewinne in gleicher Höhe freuen. Ebenso möchten wir Verluste generell vermeiden, was eventuell eben dazu führt, etwas nicht zu verkaufen, nur, weil die Position insgesamt noch im Minus ist. Vermutlich ist der eine oder andere Fehler in dieser Hinsicht jedem schon mal unterlaufen.

Das Mindset beim Investieren muss Verluste aushalten

Aber dies dürfte nicht der Punkt sein, um den es beim Investieren wirklich geht. Denn ob die Position letztendlich mit 1.000 € oder 1 Mio. € im Minus verkauft wird, ist nicht das Problem. Das Kapital des Anlegers ist mehr oder weniger geschrumpft. Sofern keines mehr übrig ist, muss der Anleger eben zunächst wieder welches verdienen, bevor er wieder handeln kann. Mehr nicht.

Aus Sicht des Anlegers kann er die Sache jedoch nüchtern betrachten. Mit jeder Transaktion an der Börse gewinnt er am Ende Geld oder er verliert welches. Zwischendrin liegt er entweder im Plus oder im Minus. Auf welcher Seite auch immer, hat er entweder recht gehabt oder nicht. Es versteht sich von selbst, dass jeder vermutlich lieber recht haben möchte, als unrecht, aber ich muss gestehen, dass ich schon oft Unrecht hatte. Es ist schon verdammt oft anders gekommen, als ich erwartete habe, und in unzähligen verschiedenen Konstellationen. Mal habe ich das falsche gekauft, mal zu früh verkauft, mal war es das falsche Produkt und mal hat es eine besondere Ausgestaltung gehabt, die ich nicht kannte oder vollständig verstanden hatte.

Wenn ich mit einer Position 10.000 € im Minus bin und dies 10% meines Kapitals betrifft, dann habe ich mein Kapital von 100.000 € auf 90.000 € reduziert. Wenn ich verkaufe, realisiere ich den Buchverlust, ansonsten bleibt er stehen. Sonst ändert sich jedoch nichts, das Geld ist bereits weg. Nach dem Verkauf kann ich auf diesem Weg nichts mehr gewinnen. Andererseits, würde ich kaufen, wenn mein Kapital 90.000 € wäre und ich wüsste, dass es zuvor bergab ging? Ich habe schon nach fallenden Kursen nachgekauft (if you’re in trouble, double ;-), ich habe Verluste laufen gelassen und ich habe Verluste begrenzt. Manchmal war es gut, manchmal schlecht, immer jedoch war meine ursprüngliche Entscheidung falsch!

Es geht immer noch tiefer…

Sicherlich gibt es eine besondere Situation, nämlich ohne Hebel in einen Index zu investieren. Aufgrund der Definition des Indizes kann dieser nur auf 0 fallen, wenn alle enthaltenen Aktien in Summe wertlos wären. In diesem besonderen Fall kann es möglich sein, tiefe Kursstürze mit Hilfe der Vogelstrauß-Taktik (Kopf in den Sand stecken) einfach auszusitzen und zu warten. Dennoch ist es nach meiner Ansicht einfach nur ein Anzeichen dafür, dass vorher ein Fehler passiert ist. Anschließend stellt sich Dir die Frage, wie Du damit umgehen möchtest.

Stell Dir vor, Du hast ein Depot im Wert von 100.000 € und bist komplett in einen ETF auf einen großen Index investiert. Wenn dieser jedoch um 50% fällt, ist Dein Depot nur noch 50.000 € wert. Dann war es mit Sicherheit falsch, bei 100% nicht zu verkaufen. Du könntest investiert bleiben, weil Du bei 100% der Meinung warst, es ist deutlich mehr wert. Dann ist zu 50% investiert zu sein ein super Preis und irgendwann sind es wieder 100% oder mehr, wenn Du recht hast. Andererseits kann es jedoch auch auf 25% fallen, was Deinen Depotwert noch einmal halbiert auf 25.000 €. Dann wäre es im Nachhinein echt gut gewesen, bei 50% verkauft zu haben. Du könntest dann jetzt die doppelten Anzahl an Anteilen kaufen und stündest besser.

Es kann jedoch ebenso gut bei 50% das Tief gewesen sein und dann wäre der Verkauf bei 50% der denkbar schlechteste Zeitpunkt. Dann musst Du Dich höher zurückkaufen, vielleicht bei 60% oder 70%, was Dich allerdings einer neuen Gefahr aussetzt. Vielleicht ist es nur ein Zwischenhoch, eine Bullenfalle im Bärenmarkt? Allerdings ist es schwer, exakt das Tief beim Kauf zu erwischen – genauso unwahrscheinlich ist dies beim Verkauf. Insofern wäre dies eben Pech. Der Fehler wäre dennoch nicht der Verkauf zu diesem Zeitpunkt gewesen, sondern der unterlassene Verkauf zu einem früheren!

Angst sichert Dein Überleben!

Wer nach einem Kursrückgang von 100% auf 80% nicht verkauft, weil er eher mehr kaufen möchte, glaubt weiterhin an die Aufwärtsbewegung. Spätestens wenn es dann auf 70% fällt, sollte er wenigstens erneut darüber nachdenken. Der DAX ist ab 2000 und ab 2008 mehr als 50% gefallen. Beim neuen Markt wäre 2000 ein Verkauf nach 50% Rückgang super gewesen, denn am Ende waren es mehr als 90% Rückgang! 

Aus meiner Sicht ist der Aktienmarkt nicht anders als das Leben an sich. Du darfst unrecht haben, aber es sollte Dich nicht alles kosten! Am besten fährst Du, wenn Du reagierst, sobald Du merkst, dass Du im Unrecht bist. Das ist schwer, aber während Du im Leben vielleicht einfach damit durchkommst, kostet es am Aktienmarkt eben Geld. Bedeutet das Mindset, die Mentalität am Aktienmarkt, dass Du Verluste oder entgangene Gewinne aushalten musst? Beides. Du wirst Verluste erleiden und entgangene Gewinne zu beklagen haben. Viel wichtiger aus meiner Sicht ist jedoch die Tatsache, dass Dir der Markt zeigen wird, wann Du unrecht hast. Wie Du darauf reagierst, wird am Ende darüber entscheiden, wie erfolgreich Du sein wirst.

Ob Du den Index schlägst oder nicht, ob der Index eine gute Phase während Deines Investitionslebens hat oder nicht – Du legst an, um mindestens die Inflation zu schlagen, weil Du sonst Wert verlierst. Wenn Du Deine Ziele im Leben erfüllst und Dir die Investitionen am Aktienmarkt finanziell dabei helfen, kann es nicht so schlecht gelaufen sein. Willst Du jedoch Dein Schicksal in die eigenen Hände nehmen und nicht blind dem Markt überlassen, dann führt kein Weg an einer wahrheitsgemäßen Auseinandersetzung mit Deinen Ergebnissen vorbei. Das wird manchmal weh tun, aber aus Schmerz wächst Erkenntnis!

Nur mit dem richtigen Mindset beim Investieren wirst du an der Börse auf lange Sicht durchhalten. Der Vermögensheld empfiehlt dafür das Mindset des “skeptischen Optimismus”.