Es gibt unzählige Berichte über die tollen Möglichkeiten, die ChatGPT bietet. Es gibt praktisch keine Tätigkeit von Wissensarbeitern mehr, die nicht im Verdacht steht, zukünftig durch künstliche Intelligenz (KI) ausgeführt zu werden. Nach dem anfänglichen Hype flaut es jedoch ein bisschen ab, weil auch die Schwachstellen der KI deutlich werden. Die Frage ist also, welche Tätigkeiten zum jetzigen Zeitpunkt bereits übernommen werden könnten?

Alleine in der Finanzdienstleistung gibt es viele verschiedene Arbeiten und jede einzelne verdient eine genaue Betrachtung: Gibt es einzelne Arbeitsschritte, die nicht übertragbar sind und damit alle vorhergehenden Gedanken und Annahmen obsolet machen? Um diese Falle zu umgehen, muss konkret die Arbeit eines Finanzberaters in der Finanzdienstleistung untersucht werden. Welche Besonderheiten hat dieser Aufgabenbereich und welche Aspekte sind bei der Übertragung dieser Aufgaben an eine KI zu berücksichtigen?

Welche Arbeit macht ein Finanzberater?

Die Arbeit eines Finanzberaters erscheint zuerst komplex, der strukturierte Prozess der Finanzberatung lässt sich aber leicht in verschiedene Teilarbeiten zerlegen: Der Berater muss ausgebildet werden und sich regelmäßig selbst weiterbilden, um fachlich und technisch auf der Höhe der Zeit zu sein. In der Beratung selbst muss er den Kunden kennenlernen: Er muss die relevanten Daten des Kunden erfassen und auf dieser Grundlage im Anschluss die Situation des Kunden unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte analysieren. Sein Ergebnis muss er dem Kunden präsentieren und verständlich erklären.

Danach ist der Kunde am Zug, seine Gedanken und Meinungen zu äußern. Er kann entscheiden, welche Aspekte ihm wichtig sind bzw. welches wichtiger als alle anderen. Es geht dabei nicht um die vollständige Priorisierung aller Themen, sondern vielmehr um die Identifikation des ersten relevanten Themas. Denn Zeit ist begrenzt. Jetzt ist der Berater gefordert, für dieses Thema Handlungsoptionen aufzuzeigen und für den Kunden zu bewerten.

Das Ergebnis dieser Analyse muss erläutert werden, um den Kunden in die Lage zu versetzen, eine fundierte Entscheidung zu treffen. Zuletzt liegt es am Kunden, sich auf Basis der erhaltenen Informationen zu entscheiden. Der Berater wiederum ist verpflichtet, den gesamten Prozess der Beratung und Entscheidungsfindung möglichst vollständig und nachvollziehbar zu dokumentieren.

Die KI muss über das notwendige Wissen verfügen

Keine Diskussion entsteht darüber, ob einer KI das gleiche Wissen zur Verfügung steht, wie einem Berater. Vielmehr stellt sich die Frage, ob wir an einen Punkt kommen, an dem ein Berater schlicht nicht mehr in der Lage ist, jegliches erforderliche Wissen parat zu haben, um eine fundierte Beratung durchzuführen.

Außerdem ist es eine Sache, sich Wissen anzueignen, aber es ist eine völlig andere, dieses Wissen dauerhaft zu speichern, zu behalten und zu nutzen, sowie sicherzustellen, dass es nicht verloren geht. Gleiches gilt für Veränderungen beispielsweise Anpassungen der regulatorischer Rahmenbedingungen. Für das menschliche Gehirn ist es schwer, sämtliche Veränderungen mit dem richtigen Kontext zu speichern, besonders, wenn es um konkrete Zahlen geht. In diesen Situationen könnte sich der Berater zwar auf eine allgemeine Beratung konzentrieren und die Zahlen bei Bedarf nachschlagen, aber wie geht er damit um, wenn sich grundsätzliche Dinge ändern, die eine völlige Neubewertung von optimalem Kundenverhalten erfordern?

Wie man es auch dreht und wendet, beim Erwerb und der Anwendung relevanten Wissens liegen die Vorteile bereits heute deutlich auf Seiten der KI (oder ganz allgemein eines Computers).

Kann eine KI die Kundendaten erfassen?

Vielleicht ist es aber für einen Berater einfacher, dem Kunden konkrete und spezifische Fragen zu dessen Finanzen zu stellen und seine Antworten zu erfassen. Aber Vorsicht, leider ist auch das nur die halbe Wahrheit: Denn oftmals irren selbst die Kunden. Einfach, weil sie keinen guten Überblick über Ihre eigenen Finanzen haben. Nicht ohne Grund lassen sich viele Berater einfach den Ordner mit den Unterlagen des Kunden mitgeben, um sich selbst einen Überblick über die finanzielle Situation zu verschaffen.

Doch selbst dabei übersehen sie eine ganze Menge – vielleicht auch, weil Finanzberatung im Wesentlichen immer noch Provisionsberatung ist, also qualifizierter Produktverkauf. Wie gut der Kunde seine Ausgaben unter Kontrolle hat oder wie hoch dessen Vermögensrendite ist, bleibt bei dieser produktzentrierten Betrachtungsweise außen vor. Hinzu kommt der zeitliche Aufwand für diese Art von Analysen: Um an die relevanten Informationen zu kommen, müssten Kontoauszüge über mehrere Jahre durchforstet und aufbereitet werden, um die erforderlichen Berechnungen überhaupt durchführen zu können.

Nach meiner Meinung verliert daher ein Berater auch klar gegen die KI, wenn es um die Erfassung und Auswertung der Kontodaten geht. Bei der Analyse der Finanzprodukte ist der Berater noch so lange im Vorteil, bis es eine allgemein zugängliche Datenschnittstelle der Versicherungs- und Finanzdienstleister gibt (2026?). Gerade das ist aber eher eine Frage des politischen Willens als der technischen Möglichkeiten.

Die Analyse der Situation ist Fleißarbeit

Nachdem die Datengrundlage vorhanden ist, macht eine Analyse der Situation der KI keine Schwierigkeiten. Im Gegenteil, es dürfte sogar wesentlich leichter für eine Maschine sein, nichts zu vergessen. Es macht für einen Computer auch keine Probleme, eine exakte und vollständige Risikoanalyse durchzuführen: Die Eintrittswahrscheinlichkeiten werden mit dem möglichen Schadenausmaß multipliziert und anschließend nach Höhe des gewichteten Risikos sortiert.

In der dargestellten Form wird es der Berater selbst sicherlich nicht manuell machen: Seine Beratungssoftware übernimmt das für ihn, die er mit den relevanten Daten und den Prioritäten des Kunden füttert. Diese können aber durchaus von der mathematischen Gewichtung abweichend sein. Das heißt, die KI ist dem Berater an dieser Stelle mindestens ebenbürtig. Selbst die Aufbereitung und Präsentation der Ergebnisse und notwendiger Hintergrundinformationen stellt eine Software mit den heutigen Fähigkeiten nicht vor Probleme.

Selbst die Erarbeitung der Handlungsoptionen ist Fleißarbeit

Um effizient zu sein, wird ein Berater nur die Handlungsoptionen ausarbeiten, die der Kunde aktuell als relevant betrachtet. Diese Beschränkung ist bei einer KI nicht nötig, zumal die Rechenzeiten für die zugrundeliegenden Problemstellungen vernachlässigbar sind. Hinzu kommt, dass sich der Kunde alle Ergebnisse in Ruhe anschauen kann und sich nicht innerhalb eines (relativ) kurzen Beratergesprächs entscheiden muss. Er trifft die Entscheidung dann, wenn es ihm am besten passt.

Bei diesem Schritt gewinnt meines Erachtens ebenfalls die KI, so dass diese insgesamt bis hierhin deutlichen Vorsprung hat. Danach liegt es vollständig in der Verantwortung des Kunden, aktiv zu werden. Der Kunde hat keinen Vorteil von einer perfekten Analyse samt hervorragend aufbereiteten Handlungsoptionen, wenn er anschließend nicht entsprechend handelt. Alleine, dass nur rund 2/3 der deutschen Haushalte über eine Haftpflichtversicherung verfügen (deren Sinnhaftigkeit hoffentlich niemand in Frage stellt), macht deutlich, dass der Übergang vom Verständnis der eigenen Situation hin zum Handeln eine nicht zu vernachlässigende Hürde ist.

Der Berater ist ein Auslaufmodell

Aus meiner Sicht gibt es nach den bisherigen Überlegungen keine Zweifel daran, dass eine KI einem Finanzberater zukünftig überlegen sein wird. Es wird jedoch keine KI sein, die sich ihre Informationen einfach aus dem Internet zusammensucht, verarbeitet und ausgibt. Es wird vielmehr eine Software sein, die gezielt für diesen Zweck gebaut wird. Vielleicht wird es noch einige Zeit dauern, aber bereits heute bietet Beratersoftware für Finanzvertriebe – zumindest im Grundsatz – die benötigte Funktionalität.

Ich gehe jedoch davon aus, dass die aktuell tätigen Berater ihre Ablösung durch Software noch nicht fürchten müssen. Einem jungen Menschen allerdings würde ich heute den Berufseinstieg aufgrund der Zukunftsaussichten nicht mehr empfehlen.