Finanzberatung ist grundsätzlich eine individuelle Angelegenheit, schließlich möchte jeder die richtige Lösung für genau seine Situation erhalten. Dies ist aber nur die Sicht der Kunden. Für den Berater sieht die Situation anders aus. Denn dies bedeutet für ihn, dass sich die Anforderungen deutlich erhöhen. Er braucht bereits viel Zeit, um die Situation und Ziele des Kunden vollständig zu erfassen und zu verstehen. Anschließend muss der Berater noch möglichst viele Wegen prüfen und bewerten, die den Kunden ans Ziel bringen könnten. Die Fragen sind nun, ob, erstens, der Berater dies überhaupt leisten kann und zweitens, ob der Kunden bereit wäre, dafür zu bezahlen.
Es gibt viele Aspekte einer Beratung, die auf den ersten Blick einfach aussehen, aber im Detail komplex und schwierig sind. Beispiele könnten der Vorsorgebedarf im Alter, die Höhe der Absicherung im Todesfall, die geeignete Aufteilung des Vermögens und vieles andere sein. Selbst das Budget, also die Ermittlung der durchschnittlichen Einnahmen und Ausgaben pro Monat klingt einfach, aber stellt sich in der Praxis als aufwändig und kaum manuell zu schaffen heraus. Denn kein einzelner Monat ist durchschnittlich genug, der Kunde kennt nur sein Einkommen und dennoch stellt es die Basis für jede Finanzberatung dar.
Alles ist für den Durchschnitt ausgelegt!
Jeder Berater muss daher eine Entscheidung treffen. Er kann entweder den mühsamen und zeitaufwändigen Weg der genauen Berechnung gehen, wobei er Ungenauigkeiten in Kauf nimmt. Oder er bittet den Kunden um grobe Angaben, ohne sich mit den Details zu beschäftigen. Letzteres ist der ungefährlichere Weg, weil dadurch Fehler bei den Ergebnissen auf die Angaben der Kunden zurückzuführen sind. Er muss dann jedoch von bestimmten Voraussetzungen ausgehen. Je näher diese den tatsächlichen Verhältnissen der Kunden sind, desto besser werden die Ergebnisse der Beratung für die Kunden sein.
Im Umkehrschluss werden die Ergebnisse jedoch schlechter, je weiter die Verhältnisse der Kunden von denen der erwarteten abweichen. Selbst die DIN 77230 Basis-Finanzanalyse für Privathaushalte beschäftigt sich mit Abweichungen vom typisierten Haushalt. Für den Kunden stellt sich die Situation jedoch anders dar. Er sollte Zweifel bekommen, ob das Ergebnis überhaupt geeignet ist. Damit in Konsequenz, ob er deren Empfehlungen folgen sollte.
Aber dies löst das Problem des Kunden nicht, denn er kann nur auf die Beratung verzichten. Dann verzichtet er zwar auf mögliche Fehler, bekommt aber auch keine Beratung. Dies ist jedoch keinesfalls in seinem Interesse, denn Beratung ist notwendig. Aber die Beratung muss sich verändern, weil sich die Kunden individueller sind und noch mehr werden. Die Beratung muss dem Rechnung tragen und für jeden Kunden die gleichen Qualitätsansprüche erfüllen. Nur so kann sich der Kunde ausreichend sicher sein, seine finanzielle Zukunft darauf aufzubauen.
Wo ist eine Abweichung ein Problem?
Bis jede Finanzberatung so individuell ist, dass vollständig auf Faustformeln verzichtet wird und mit allen notwendigen Details gearbeitet werden kann, muss sich der Kunde anders behelfen. Er muss seine Situation kennen und einschätzen können, an welchen Stellen er vom Durchschnitt abweicht bzw. welche Punkte gegenüber einem Berater erwähnenswert sind. Denn nur mit diesem Wissen kann der Berater seine Empfehlungen hinterfragen und ggfs. anpassen, wenn es notwendig ist.
Leider hilft es dem Kunden nicht, weil die meisten ihre eigene Situation nicht einschätzen können. Schon gar nicht können sie beurteilen, wo und wie sehr sie vom Durchschnitt abweichen. Könnten Sie das, bräuchten sie vermutlich auch keine Finanzberatung. Insofern muss diese Arbeit vom Berater übernommen werden. Er muss nach Indizien suchen, die auf Besonderheiten hinweisen, oder auf andere Art und Weise ein Gefühl bekommen, ob die geplante Vorgehensweise einsetzbar ist oder nicht.
Dies ist zwar deutlich weniger aufwändig, als jedes Detail zu berechnen, hat aber auch Schwächen. Denn es besteht durchaus die Chance, dass etwas übersehen wird. Allerdings ist dies zu vernachlässigen, wenn der Berater an den Punkten genauer hinschaut, an denen eine Abweichung die größten Veränderungen im Ergebnis zur Folge hat. Die Beratung ist dann vielleicht nicht perfekt, aber auch nicht schlecht. Für den Kunden ist das ein durchaus akzeptabler Kompromiss, aber es stellt sehr hohe Anforderungen an den Berater. Denn es reicht nicht mehr aus, die Vorgehensweise der Beratung zu kennen, er muss zusätzlich so gut über die Berechnungen Bescheid wissen, dass er die wichtigsten Punkten aus den Angaben des Kunden erkennt und die richtigen Schlüsse zieht.
Wie sollte Finanzberatung sein?
Nach meiner Ansicht gibt es keine Alternative zu einer detaillierten und exakten Vorgehensweise, auch wenn diese mit viel Aufwand verbunden ist. Denn andernfalls kann der Kunde eben nicht einschätzen, wie gut die Qualität der Beratung ist. Sie hängt schlicht nur an der Qualität des Beraters. Außerdem kann selbst eine gute Beratung schlechte Ergebnisse bringen, wenn sich die Zukunft unglücklich entwickelt. Oder umgekehrt, eine schlechte Beratung kann im Glückfall gute Ergebnisse bringen.
Deswegen muss der Beratungsprozess klar definiert sein und genügend Details berücksichtigen, um für jeden Kunden individuell ein qualitativ gutes Ergebnis zu produzieren. Nicht nur für den durchschnittlichen Kunden, sondern wirklich für jeden, egal wie besonders seine Situation auch sein mag. Dann könnte der Berater diese Qualität sogar garantieren, eben weil der Prozess sämtliche möglichen Besonderheiten berücksichtigt hat.
Im Ergebnis führt dies jedoch dazu, dass eine solche Finanzberatung wesentlich länger dauert als heute üblich. Außerdem ist diese mit deutlich höheren Kosten verbunden, die der Kunde tragen müsste, weil der Berater keinen zusätzlichen Nutzen davon hat. Es führt für den Kunden jedoch kein Weg daran vorbei, dieses Geld auszugeben. Denn eine Beratung basierend auf ungenauen Zahlen bedeutet nicht automatisch nur ungenaue Ergebnisse. Das mag zwar in einigen Fällen der Fall sein, in anderen jedoch ist das Ergebnis komplett falsch. Dies berücksichtigend ist es eine gute Investition, das Geld für eine solche Finanzberatung auszugeben.
Individualität bei der Finanzberatung ist die Zukunft
Ich verstehe es, wenn der Mehrwert für die Kunden kaum einzuschätzen ist. Denn es kann durchaus passieren, dass es das Ergebnis einer detaillierten Analyse ist, dass der Kunde nahe am Durchschnitt ist und das Ergebnis damit treffend und brauchbar. In diesem Fall ist das Geld für diese Gewissheit ausgegeben worden. Ähnlich einer Versicherung, die Du nie gebraucht hast.
Die Chance für die Kunden ist die technische Entwicklung. Mit mehr verfügbaren Daten und stetig verbesserter Datenverarbeitung sowie künstlicher Intelligenz können immer mehr Aspekte der Finanzberatung automatisch durchgeführt werden. Dies senkt die Kosten und erleichtert den Kunden dadurch den Zugang. Bereits heute sollte es ausreichend sein, auf diese Art die wichtigsten Probleme der finanziellen Situation erkennen zu können. Das würde den Kunden im Beratergespräch die Möglichkeit geben, den Berater darauf hinzuweisen und dadurch die Qualität der Beratung abzusichern.