Timing ist alles – auch beim Vermögensaufbau

Jeder Anleger sollte versuchen, die Rendite durch Timing zu bessern. Was dabei zu beachten ist.

Jeder kennt vermutlich die Aussage, dass sich Timing nicht lohnt beziehungsweise beim Vermögensaufbau nur eine untergeordnete Rolle spielt: „Time in the market beats timing the market.“ Aber einfach so als absolute Wahrheit und ohne Begründung sollte das niemand glauben. Und, auch wenn die Aussage mit einer Begründung geliefert wird, sollte die gründlich geprüft werden. Denn was sich bei Finanzen intuitiv richtig anhört, ist in den meisten Fällen falsch.

Beim Timing verläuft die Begründung in der Regel nach dem Muster, dass ein Index in den letzten 10.000 Tagen, also rund 40 Jahre oder einem anderen willkürlich gewählten Zeitraum, eine Rendite von beispielsweise 8% erzielt habe. Wer allerdings in dieser Zeitspanne die 50 (oder eine andere Anzahl, die die Aussage stützt) besten Tage verpasst hat, verliert auch die komplette Rendite. Die Schlussfolgerung daraus: Der Anleger sollte am besten jeden Tag investiert sein, weil niemand weiß, wann diese besonderen Tage sein werden.

Das klingt zuerst vernünftig, aber bereits in dieser Aussage sind viele implizite Annahmen enthalten, die mal mehr, mal weniger offensichtlich sind. Als erstes könnte man als Anleger die Gegenposition untersuchen: Was wäre mit der Rendite passiert, wenn statt der besten, die 50 schlechtesten Tage ausgelassen worden wären? Die zu verpassen wäre super gewesen, weil sich die Rendite auf 17% erhöht hätte. Das ist zwar mindestens genauso schwer, wie die besten Tage zu verpassen, aber dafür lohnt es sich noch mehr, weil der Absturz an den schlechtesten Tagen höher ist als der Zuwachs an den besten. Und jetzt?

Die Kurse fallen schneller als sie steigen

Nichts, denn es wird deutlich, dass die Botschaft mit einem Fokus auf der Bedeutung „der besten Tage“ keinerlei Aussage hat. Die Kurse fallen im Schnitt schneller als sie steigen. Allerdings steigen sie öfter, als sie fallen. Außerdem liegen die jeweiligen Tage oft dicht beieinander, wie dieses Jahr Anfang August gut zu sehen war. Dem dramatischen Kurssturz folgte ein paar Tage später ein heftiger Anstieg, wenn auch nicht genauso stark wie der zuvor erfolgte Fall. Das macht den Versuch des Timings einzelner Tage noch schwieriger. Warum aber sollte ein Anleger überhaupt versuchen, auf einzelne Tage zu spekulieren?

Möglicherweise würde ein „gewiefter“ Anleger prüfen, ob es eine erfolgversprechende Strategie sein könnte, nach deutlichen Kursstürzen auf die Gegenbewegung zu setzen. Aber allgemein zu versuchen die besten oder schlechtesten Tage zu vermeiden, ist bestimmt keine erfolgversprechende aktiv zu praktizierende Strategie.

Allerdings sagt das nicht das Geringste darüber aus, ob Timing sinnvoll ist. Es lohnt sich deshalb für den Anleger, viel gründlicher über mögliche Alternativen nachzudenken.

Die Wahl einzelner Tage zur Unterstreichung einer Hypothese ist eine willkürliche Annahme, die offenbar nicht besonders sinnvoll ist. Warum macht man es dann trotzdem? Der wahrscheinlichste Grund ist die Möglichkeit, überhaupt zu einer Aussage zu gelangen. Zu diesem Zweck könnte es aber auch jeder andere Zeitraum sein: mehrere Tage, Wochen oder Monate. Sogar variable Zeitpunkte sind möglich, die an Kursbewegungen, Bewertungen oder anderes geknüpft sind. Schon daran wird ersichtlich, wie viele Möglichkeiten denkbar sind und wie beliebig eine Aussage gestützt werden kann.

Regelmäßig die Bewertung prüfen

Das ist bei weitem noch nicht alles. Nur weil Timing in einer Anlageklasse nicht funktioniert, könnte es in einer anderen Anlageklasse – auf welche Art auch immer – durchaus möglich sein. Warum überhaupt sollte Timing auf eine einzelne Anlageklasse beschränkt sein? Schon das ist eine willkürliche Annahme, die dem Anleger viele Chancen nimmt.

Ohne Voreingenommenheit und Restriktionen an die Aufgabe heranzugehen, durch Timing die Rendite zu steigern, ist eine spannende Aufgabe. Die Ausgangssituation ist einfach: Jeder Anleger hat sein Vermögen auf verschiedene Anlageklassen aufgeteilt. Timing bedeutet, den Anlagezeitraum nicht zu langfristig zu wählen, sondern kürzere Zeiträume zu betrachten. Also nicht an einer konstanten Verteilung der Anlageklassen festzuhalten und Abweichungen immer wieder auszugleichen, sondern vielmehr darüber nachzudenken, ob die gewählte Aufteilung in der vorliegenden Marktsituation geeignet ist.

Dabei ist es unerheblich, welche durchschnittliche Rendite mit einer Anlageklasse erzielt werden kann. Wichtig ist, welche Rendite in naher Zukunft zu erwarten ist, selbst wenn das niemand mit Sicherheit sagen kann. Der Schlüssel liegt in der aktuellen Bewertung jeder einzelnen Anlageklasse und in der regelmäßigen Prüfung, ob sich daran etwas geändert hat.

Wie das Vermögen aufteilen?

Allerdings reicht selbst das nicht aus. Angenommen, es liegen komplett unterschiedliche Bewertungen für drei Anlageklassen vor. Bei der ersten entspricht der Preis dem doppelten des Wertes, bei der zweiten stimmen Wert und Preis ungefähr überein, und bei der dritten liegt der Preis bei der Hälfte des Wertes. Welche Vermögensverteilung soll der Anleger nun wählen, zumal er sich nicht sicher sein kann, dass er mit seiner persönlichen Einschätzung richtig liegt? Offensichtlich gibt es genügend Marktteilnehmer, die seine Einschätzung nicht teilen, sonst lägen Preise und Werte nicht so weiter auseinander.

Der Anleger könnte auf die (zu?) hoch bewertete Anlageklasse komplett verzichten, weil die zu erwartende Rendite der Zukunft aufgrund der hohen Bewertung geringer sein wird. Das muss aber kurzfristig keineswegs der Fall sein, noch nicht einmal mittelfristig. Insofern wäre ein kompletter Verzicht vielleicht zu viel des Guten. Alternativ könnte er die Bewertung auch nur halbieren.

Ebenso verhält es sich mit der niedrig bewerteten Anlageklasse. Wenn es möglich ist, Werte zum halben Preis zu kaufen, warum dann nicht das ganze Geld dort investieren und die andere Hälfte als Gewinn einfahren? Die Antwort darauf sollte – wie immer – berücksichtigen, dass die Zukunft eben unsicher ist und alles mit einem Risiko verbunden ist.

Es müssen Risiken eingegangen werden

Große Vermögen werden allerdings auf diese Art gemacht, und wenn es um den Vermögensaufbau geht, müssen Risiken eingegangen werden. Jeder Anleger muss sich also überlegen, welches Risiko für ihn das richtige ist. Je größer der Einsatz ist und je extremer die Position, die er einzunehmen bereit ist, desto größer kann der Gewinn sein, falls die Zukunft so aussehen wird, die er es sich wünscht. Stellt sich die Zukunft, aus welchen Gründen auch immer, jedoch anders dar, hat er mit Zitronen gehandelt.

Darüber hinaus ist Ausdauer gefragt, weil sich Bewertungen zwar in der Regel schneller ausgleichen, als sie sich aufgebaut haben, aber das trotzdem Jahre dauern kann. In dieser Zeit ist die Rendite des Anlegers dann schlechter als sie mit einer anderen Vermögensaufteilung hätte sein können. Während er also eventuell jahrelang „falsch“ liegt, muss er darauf vertrauen, dennoch letztlich „Recht“ zu behalten. Sollte er zwischendrin aufgeben und seine Vermögensaufteilung anpassen, verliert er viel Geld, sollte die initial erwartete Korrektur doch noch kommen.

Ein Anleger, der mit Timing den Vermögensaufbau beschleunigen möchte, hat dazu viele Möglichkeiten. Nicht jede Anlageklasse ist gleich bewertet und selbst innerhalb der Anlageklassen gibt es noch unterschiedliche Bewertungen. Darauf zu spekulieren, dass eine zu hohe Bewertung sinkt, ist dabei schwerer, als dass eine zu niedrige Bewertung steigt. Die gemeinsame Grundlage beider Varianten ist jedoch Erfahrung, um überhaupt eine Bewertung der Marktpreise vornehmen zu können.

Flexibilität ist wichtig

Unabhängig davon ist es von Vorteil, wenn das Vermögen auf mehrere Anlageklassen verteilt ist. Denn am leichtesten lässt sich von einer Überbewertung einer Anlageklasse oder einer Vermögensposition profitieren, wenn sie überhaupt vorhanden ist und dann verkauft wird. Außerdem lässt sich die Unterbewertung einer Anlageklasse schwer ausnutzen, wenn das ganze Vermögen bereits in dieser Anlageklasse investiert ist. Vielmehr ist genau das der ideale Zeitpunkt für Timing: Vermögen aus einer zu hoch bewerteten Anlageklasse in eine zu niedrig bewertete Anlageklasse umschichten.

Wer sich das nicht zutraut, muss auf vorhandene Produkte oder Fonds zurückgreifen. Dann wird es notwendig, den entsprechenden Managern ausreichend Freiheiten zu gewähren. Denn wer ein reines Aktienportfolio betreut, kann eben nicht in andere Anlageklassen ausweichen, sondern höchstens den Bargeld-Anteil bis zur erlaubten Grenze erhöhen. Geeignet sind daher höchstens Mischfonds, denen möglichst viele Anlageklassen zur Investition zur Verfügung stehen.

Allerdings wird auch das nur in wenigen Fällen erfolgversprechend sein, weil sich Fonds in der Regel an Benchmarks und an Jahresscheiben orientieren, was hinderlich ist, da Timing nicht zum Jahresanfang umgesetzt wird, sondern zum geeigneten Zeitpunkt. All das spricht gegen klassische Fondsmanager und Vermögensverwalter, weil deren Bezahlung an anderen Kriterien ausgerichtet ist und die Mehrheit der Kunden es eben nicht toleriert, wenn der Fonds längere Zeit eine geringere Rendite als der Markt erzielt.

Genau aus diesen Gründen sollte jeder Anleger versuchen, seine Rendite durch Timing zu verbessern. Es hat einen Grund, dass große Vermögen gemacht werden, wenn alles zusammenbricht. Denn dann lassen sich Vermögenswerte zu Spottpreisen einkaufen, oft sogar für weniger als die Hälfte ihres Wertes. Aber eben nur von Anlegern, die noch liquide sind oder aus anderen Anlageklassen umschichten können. Und natürlich genügend Geduld haben, auf die richtigen Zeitpunkte vom Einstieg bis zur Korrektur zu warten.